- Physiknobelpreis 1974: Antony Hewish — Martin Ryle
- Physiknobelpreis 1974: Antony Hewish — Martin RyleDie britischen Physiker erhielten den Nobelpreis »für ihre bahnbrechenden Arbeiten in der Radioastrophysik«.BiografienAntony Hewish, * Fowey (England) 11. 5. 1924; ab 1971 bis zur Emeritierung Professor für Radioastronomie in Cambridge, England.Sir (seit 1966) Martin Ryle, * Brighton 27. 9. 1918, ✝ Cambridge 14.10. 1984; ab 1959 Professor für Radioastronomie in Cambridge, 1972-82 zwölfter Königlicher Astronom.Würdigung der preisgekrönten LeistungDie Sterne des Weltalls sterben, wenn ihr Brennstoff versiegt. Lässt der Innendruck nach, stürzen sie durch die Gravitation in sich zusammen und werden zu extrem dichten und kalten Weißen Zwergen. 1931 errechnete der indisch-amerikanische Astrophysiker Subrahmanyan Chandrasekhar (Nobelpreis 1983), dass ein Stern— je nach Rotationsgeschwindigkeit — mit mehr als 1,4 bis 3 Sonnenmassen nicht mehr als Weißer Zwerg enden kann. Vielmehr verdichtet sich ein Stern oberhalb dieser Chandrasekhar-Grenze zu einer Kugel von etwa 20 Kilometer Durchmesser.Kurz nach der Entdeckung des Neutrons diskutierte 1934 der Schweizerisch-amerikanische Astronom Fritz Zwicky die Möglichkeit, dass solche Sterne aus reiner Neutronenmaterie bestehen könnten. Und der deutsch-amerikanische Astronom Walter Baade vermutete, das schwach strahlende Zentrum des Krebsnebels sei ein Stern unbekannten Typs. Das Interesse an solchen Themen stieg stark an, als der amerikanische Astronom Allan Rex Sandage 1960 die erste quasistellare Radioquelle, Quasar genannt, entdeckte. Die merkwürdigen Objekte versetzten die Astronomen in helle Aufregung, da die Deutung der starken Rotverschiebung ihres Spektrums die Theorie der Entstehung des Weltalls beeinflusste.Quasare sind sternartige, in ihrer optischen Helligkeit variable Gebilde. Sie strahlen sehr stark im Radiowellenbereich und ebenso im ultravioletten und infraroten Bereich. Die Rotverschiebungen deuten auf riesige Entfernungen von mehreren Milliarden Lichtjahren hin. Der Quasar 3C273 strahlt zum Beispiel die unvorstellbare Energiemenge von 1047 erg (1040 Joule) pro Sekunde ab. Das entspricht der gesamten Strahlung von 1000 normalen Galaxien. Verständlich, dass sich auch Anthony Hewish für diese sonderbaren Gebilde interessierte. Zu ihrer Beobachtung entwarf er ein Teleskop neuen Typs.Grundelement jedes Radioteleskops ist der Dipol, ein in der Mitte unterbrochener Stab. Die Empfangsleistung ist maximal, wenn er halb so lang ist wie die zu beobachtende Wellenlänge und wenn die Strahlung senkrecht einfällt. Hewish baute gemeinsam mit Studenten ein 1,8 Hektar großes ebenes Interferometer-Teleskop mit mehr als 2000 feststehenden Dipolen. Der schweißtreibende Aufbau, bei dem fast 200 Kilometer Kabel verlegt wurden, dauerte zwei Jahre.Damit schräg einfallende Radiowellen an jedem Dipol mit der gleichen Phase ankommen, entwickelte Hewish einen elektronischen Phasenschieber zur Gleichrichtung. Auf diese Weise erhielt sein Teleskop die für die äußerst schwache Radiostrahlung notwendige hohe Auflösung. Im Juli 1967 begann die Gruppe mit der Suche nach Quasaren. Unter der Aufsicht von Hewish war die junge nordirische Doktorandin Jocelyn Bell Burnell für das Teleskop verantwortlich. Gleichzeitig hatte sie täglich die auf 30 Metern Papier festgehaltenen Diagramme per Hand auszuwerten. Nach acht Wochen bemerkte sie ein Signal mit der Periode von exakt 1,337011 Sekunden. Zunächst glaubte sie, einen intergalaktischen Funkverkehr belauscht zu haben. Doch es musste ein pulsierender Stern sein, da immer mehr ähnliche Strahler entdeckt wurden. Der Zentralstern im Krebsnebel gehört dazu.Pulsare (pulsating radio source) pulsieren jedoch nicht, es sind rotierende, magnetische Neutronensterne. Sie haben einen Durchmesser von wenigen Kilometern, ihre Masse ist jedoch mit der unserer Sonne vergleichbar. Pulsare entstehen bei Supernova-Explosionen und rotieren mit bis zu 100 Umdrehungen pro Sekunde. Das mitrotierende Magnetfeld beschleunigt die geladenen Teilchen ihrer Atmosphäre. Diese emittieren Radiowellen, deren Stärke an den magnetischen Polen besonders groß ist. Da die magnetischen Pole wie bei der Erde nicht auf der Rotationsachse liegen, registrieren die Radioteleskope nur dann Impulse, wenn einer der Pole zur Erde zeigt.Ryle verknüpfte TeleskopeDie Erforschung des Himmels geschieht mit optischen und radioastronomischen Instrumenten. Während optische Teleskope auf klaren Himmel angewiesen sind, können Radioteleskope bei fast jedem Wetter und bei Tag und Nacht betrieben werden, da dieser Teil des elektromagnetischen Wellenspektrums in der Atmosphäre kaum gestreut wird. Der große Vorteil wird aber von der geringen Dichte der Radiostrahlung zunichte gemacht. Die weitaus meisten Objekte im Weltraum senden sehr viel mehr Energie in Form von Licht als in Form von Radiostrahlung aus. Ausnahmen bilden aber gerade viele interessante Objekte wie die Quasare, Neutronensterne oder interstellare Gaswolken.Radioteleskope müssen sehr groß sein, um die geringe Dichte der Radiostrahlen wettzumachen. Martin Ryle, der zweite Physikpreisträger des Jahres 1974, arbeitete über Jahrzehnte an ihrer technischen Verbesserung. Mit der von ihm erfundenen Apertursynthesetechnik, bei der mehrere Radioteleskope zusammengeschaltet wurden, erreichten seine Teleskope eine Auflösung, die — in den optischen Bereich übertragen — Details einer Briefmarke auf der Mondoberfläche erkennen lassen.Ryle arbeitete im Gegensatz zu Hewish mit Parabolantennen. Sie bestehen aus einer Schüssel, die die Radiosignale zu einem einzelnen zentralen Dipol reflektiert. Das Auflösungsvermögen einer Parabolantenne wird von deren Durchmesser, der Apertur, bestimmt. Je größer die Apertur, desto mehr Photonen werden gesammelt und desto größer ist das theoretische Auflösungsvermögen. Solche Antennen sind sehr teuer, da der konstruktive Aufwand der schwenkbaren Spiegel zur exakten Ausrichtung auf den zentralen Dipol mit der Größe extrem zunimmt. Ryle ging deshalb einen anderen Weg. Er schaltete mehrere räumlich verteilte Teleskope auf einer Strecke von fünf Kilometern zusammen. Die erzielte Apertur entspricht dabei der eines nur theoretisch denkbaren Teleskops mit demselben Durchmesser. Der Astronom nutzte zusätzlich die Bewegung der Erde aus, um die Positionen im Verhältnis zur Himmelssphäre zu vergrößern. Sein Prinzip hat eine neue Dimension der Auflösung gebracht. Moderne Elektronik macht es mittlerweile möglich, Teleskope der ganzen Erde zusammenzuschalten. Virtuell können deshalb riesige Antennen entstehen. In den ersten Jahren waren seine wissenschaftlichen Ergebnisse einzigartig in der Welt. Die physikalische Charakterisierung von Sternen und Sternsystemen ist außerordentlich befruchtet worden.Martin Ryle ist aber auch für die »kleinen grünen Männchen« vom Mars verantwortlich. Als Bell und Hewish die fremden Signale der Pulsare empfangen hatten, prägte er den Begriff. Er soll gescherzt haben, die Strahlen stammten gewiss von ihnen. Doch den Versuchen, zu möglichen außerirdischen Wesen Kontakt aufzunehmen, stand er reserviert gegenüber.U. Schulte
Universal-Lexikon. 2012.